Menschen bei uns

»Alles, was ich tue, ist Arbeit und Hobby«

, von Christa Möller

Steffie Sohst sagt: »Ich bin eine Entdeckungsreisende, will herausfinden, was geht.«

Wentorf – »Meine Kinder sagen Papa zu mir.« So weit, so wenig ungewöhnlich. Bis Februar lebte Stefan Sohst mit seiner zweiten Frau und den acht- und zehnjährigen Töchtern in einem Reihenhaus, dann trennte sie sich nach 14 Jahren von ihm. »Es war die ganz große Liebe.« Das Paar wurde fünf Jahre später sogar kirchlich getraut. Doch die Ehe sei trotz Hingabe, trotz Selbstaufgabe gescheitert. »Ich musste mich der Wirklichkeit stellen.« Der Trennung folgten der Umzug in eine kleine Wohnung – und eine Wandlung: Stefan heißt jetzt Stefanie. So steht es auch im Ergänzungsausweis, den sie für den Personalausweis beantragt hat.

Stefan Sohst wurde in Hamburg geboren, als jüngstes von drei Kindern. Ein Junge, der schon in der Kindheit seine weibliche Seite entdeckte, die Schubladen der Mutter zog ihn magisch an. Aber er sei eher preußisch erzogen worden. »Was man in der Seele empfindet, stand nicht im Raum der Möglichkeiten. Das Geschlecht war festgelegt. Punkt. Aus. Feierabend.« Bemerkenswert: Der kleine Junge hatte den Spitznamen Steffi. Der ist geblieben, heute um ein »e« verlängert.

»In meiner Jugend wurde ich oft für schwul gehalten, aber das war ich nicht«, betont Steffie. »Das geht ja auch gar nicht mit meiner Selbstdefinition.« Trotzdem heiratete er ganz konventionell, bekam fünf Kinder. Die Ehe ging in die Brüche, ebenso wie jetzt die zweite. Auch der berufliche Weg verlief kurvig: Nach dem Abitur in Hamburg und dem Zivildienst in der Altenpflege studierte er ein paar Semester Wirtschaftsinformatik. Dann folgte eine Ausbildung in einem überkonfessionellen Jugendmissionswerk in England, in dessen Hamburger Niederlassung er ein paar Jahre tätig war, bevor er sich wieder der Informatik zuwandte und in die Selbstständigkeit ging. Vor zehn Jahren tat sich ein neuer Berufsweg auf, mit einem Partner begann Steffie Sohst ein Konzept für Emotionstraining und Coaching zu erarbeiten, das ständig weiterentwickelt wird. 2016 gab es dafür den ersten Preis vom Deutschen Verband für Coaching und Training.

Diese Arbeit hat Steffie auch geholfen, ihre persönliche Entwicklung fortzusetzen. Ein bisschen IT mache sie auch noch, ein Kunde habe es auf den Punkt gebracht: »Wenn ich mit Stefan gut klarkomme, komme ich mit Steffie auch gut klar.« Eine operative Geschlechtsumwandlung hat sie noch nicht geplant. »Ich weiß nicht, ob das eine Phase sein wird oder ein endgültiges Faktum.« Aber sie kann sich eine endgültige Umwandlung durchaus vorstellen. Die Familie ist ihr wichtig, sie kümmert sich regelmäßig um die jüngeren Kinder und freut sich inzwischen über zwei Enkelkinder. Und sie hat ihre »Wohlfühlfamilie«. Aber auch sonst wurde das Outing in ihrem Umfeld überwiegend entspannt zur Kenntnis genommen, etwa bei den Mitgliedern des Vereins »Wentorf gestalten«, wo sich Stefanie Sohst ehrenamtlich als 2. Vorsitzende engagiert. Die 1. Vorsitzende Alena Kempf-Stein hatte sich gefreut, einen Mann im Vorstand zu haben. »Aber sie freut sich, dass sie eine Freundin gewonnen hat.« Im Verein setzt sich Steffie für das Projekt Raum und Zeit ein, dort geht es um Fragen wie »Wie wollen Menschen leben« und »Was ist unsere Aufgabe als Erwachsene?« Kindern ihre eigene Entwicklung zu ermöglichen, darauf liegt ihr Fokus. Derzeit sucht der Verein einen Ort für ein Lerndorf zum Leben, Lernen und Arbeiten. Man müsse das Leben etwas »entregeln«, sagt sie unter anderem mit Blick auf die Maskenpflicht für Kinder, die sie für falsch hält.

»Ich bin mit Menschen zusammen, die in der Lage sind, offen zu denken. Für mich ist das gerade eine gute Zeit.« Die Pandemie schaffe Räume, über Alternativen nachzudenken. Es habe sich eine Dynamik entwickelt, die ihr bei vielen Dingen helfe – obwohl sie durch das Kontaktverbot zeitweilig arbeitslos war, da ihre Emotionskurse pausieren mussten. »Emotionen waren immer ein Thema, das mit viel Angst und Unsicherheit verbunden war.« Gerade jetzt in der Pandemie gebe es wenig Planungssicherheit, viele Menschen fühlten sich überfordert. Stefanie Sohst verweist auf die intensive Verbindung zwischen Körper und Psyche. »Emotionale Souveränität ist besonders wichtig. Die meisten Menschen denken, die Gedanken bestimmen die Gefühle. Es ist umgekehrt, bevor ich etwas denke, habe ich etwas gefühlt.« Für sie steht fest: »Wir brauchen Nähe, verständnisvollen Austausch, Menschen, die hinter uns stehen, wenn es uns nicht so gut geht.« Sie glaubt an Reinkarnation und an den Auftrag, ein neues Zeitalter mitzugestalten. »Ich bin eine Entdeckungsreisende, will herausfinden, was geht. Wir können Dinge, die wir noch nicht ausprobiert haben. Es gibt so viele Möglichkeiten, gemeinschaftlich tätig zu werden.«

Entspannend ist für sie neben dem Abtauchen in Science Fiction- und Phantasy-Filme die Meditation. »Früher hat die Musik in meinem Leben eine große Rolle gespielt, ich bin ausgebildeter Tenor und habe im Symphonischen Chor in Hamburg gesungen.« Doch dafür bleibt neben Arbeit, Familie und Kindern sowie Ehrenamt keine freie Zeit mehr. »Ich habe keine Hobbys. Alles, was ich tue, ist Arbeit und Hobby.« Steffie sagt, sie sei sehr stark christlich geprägt – nicht zuletzt durch einen Diakon, der dem jungen Stefan einen Leitsatz mit auf den Weg gab: »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Das hat mich mein ganzes Leben begleitet.«

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