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, von Imke Kuhlmann

Jan Keijzer: »Hol raus, was du aus dem Leben rausholen kannst«

Reinbek – Nur seine ersten drei Lebensmonate verbrachte Jan Keijzer (76) in Deutschland, dann zog er mit seinem niederländischen Vater und seiner deutschen Mutter nach Amsterdam. Bis er zur Schule kam, wuchs er in Geborgenheit auf. 1955 wurde seine acht Jahre jüngere Schwester geboren. Doch seine Kindheit blieb nicht unbeschwert. Im Alter von 15 Jahren kam er ins Kinderheim. Anstatt daran zu zerbrechen, weckten die Umstände seinen Ehrgeiz. »Ich merkte früh, dass ich die Dinge selbst in die Hand nehmen muss«, sagt er. Keijzer wollte sich und seinem Vater beweisen, dass er es allein schafft, seinen Weg zu gehen. Heute blickt er auf einen spannenden Berufsweg mit der großen Liebe an seiner Seite zurück. Er hat ein Buch über sein Leben geschrieben, um anderen zu zeigen, dass alles zu schaffen ist, wenn man es will. »Hol raus, was du aus dem Leben rausholen kannst«, so sein Credo. Und bei allem Erlebten ist ihm eins immer wichtig: »Ich habe nie meinen Humor verloren«, sagt er.

Die negative Einstellung einiger Niederländer gegenüber Deutschen spürte Keijzer anfangs nur am Rande. Doch als er zur Schule kam, erfuhr er erste Ablehnungen. Mobbing begleitete seine Schulzeit und das nur, weil er eine deutsche Mutter hatte. 1959 zog es die Familie auf Wunsch der Mutter zurück nach Deutschland, zurück nach Essen in Nordrhein-Westfalen. Dort, wo Jan Keijzer geboren wurde. Bereits mit 13 Jahren übernahm er Verantwortung für die Familie, weil seine Mutter schwer erkrankte. Sie selbst hatte die Kraft nicht mehr, für die Familie zu sorgen. Der Vater arbeitete, seine Schwester war noch zu klein. Ein Wendepunkt im Leben des Sohnes. Waschen, putzen, kochen gehörte zu seinem Alltag. Er beherrschte die deutsche Sprache, nur für das Lesen und Schreiben reichten seine Kenntnisse in der  Schule nicht aus. Er kämpfte sich durch. Wiederholte eine Klasse und fand den Anschluss. Das Schicksal meinte es jedoch nicht gut mit der Familie. 1963 verlor die Mutter den Kampf gegen die Krankheit. Jan Keijzer war 15 Jahre alt. Als sein Vater kurz darauf eine neue Frau kennenlernte und heiratete, sollte sich das Leben der Kinder massiv ändern. Keijzer kam in ein Kinderheim, eines, in dem es Kindern nicht gut ging. Seine Schwester in ein Heim, das von Nonnen geführt wurde. Die Geschwister verloren sich aus den Augen.

Weil Jan Keijzer so früh für die Familie sorgte, hatte er gelernt, Verantwortung zu übernehmen, auch für sich selbst. Er kämpfte darum, das Heim zu verlassen und kam auf ein Internat nach Langeoog. In den Ferien musste er sich seine Unterkunft in der Dachkammer einer dortigen Pension finanzieren, da das Internat in der Zeit schloss und er zuhause nicht willkommen war. Nach seinem Schulabschluss hatte sein Vater, ohne ihn zu fragen, einen Ausbildungsvertrag für ihn in Hamburg abgeschlossen. Der junge Mann begann eine Lehre als Elektromechaniker. Das Geld, was er verdiente, reichte allerdings nicht zum Leben. So jobbte er am Wochenende nachts als Zeitungspacker, reparierte Fernsehgeräte und machte mit einer Band Musik in Diskotheken. »Musik war für mich schon immer ein Ausgleich«, sagt er. Neben Gitarre beherrscht er auch das Schlagzeugspielen. Keijzer wollte auf eigenen Beinen stehen und das gelang ihm. Erfolgreich schloss er seine Ausbildung ab. Sein Ehrgeiz brachte ihn auf der Karriereleiter immer weiter nach oben. Viele Weiterbildungen folgten und er übernahm die Sachgebietsleitung bei der Hermes Kreditversicherung, heute Euler Hermes. Beruflich hatte der ehrgeizige Mann inzwischen Fuß gefasst, nun kam auch noch sein privates Glück hinzu. Seine Frau Dagmar trat in sein Leben, mit der er seit 1976 verheiratet ist.

Im Job hat der Reinbeker immer etwas gewagt. Er schulte in den Bereich Heizungs- und Klimatechnik um, wurde Projektleiter und später Mitarbeiter der Geschäftsführung in verschiedenen Unternehmen. Keijzer hat in seinem Leben gelernt voranzugehen, sich etwas zu trauen. Und so wagte er auch den Sprung in die Selbstständigkeit. 15 Jahre lang führte er erfolgreich eine Werbeagentur. In seinen verschiedenen Positionen hatte er viel Erfahrung in dem Bereich gesammelt und Fachseminare besucht. Zudem arbeitete er zwei Jahre lang jeden Sonnabend als Produktionsassistent bei einer Bremer Filmproduktion. Doch wieder musste sich der Selfmade-Mann neuen Herausforderungen stellen. Die Agentur verlor zwei wichtige Kunden. Allerdings sind für Keijzer Probleme Chancen. Und so war sein Weg immer wieder von Zufällen gepflastert, bei denen er die Gelegenheiten erkannte, seinem Leben eine neue Abzweigung zu geben. So auch bei seiner letzten beruflichen Station. Auf einer Bootsmesse – Jan Keijzer liebt das Wasser und die Schifffahrt – traf er auf eine norwegische Firma, die Motoryachten baut. Kurzerhand übernahm er die Alleinvertretung für Deutschland. Doch 2010 verabschiedete sich das Mulitalent vom Berufsleben.

»Ich wollte nun mit meiner Freizeit durchstarten«, sagt er. Allerdings spielt seine Gesundheit nicht immer so mit, wie er möchte. Jan Keijzer weiß, es gibt nur ein Rezept: »Ich wende den Blick immer auf das Positive« – ganz nach seinem Motto: Die  Augen sind vorne im Kopf, nicht hinten. Und so ist er dankbar mit seiner Frau die Natur, kleine Ausflüge an die Nord- oder Ostsee und die Zeit miteinander genießen zu können. Das Reihenhaus hat das Ehepaar verkauft, vorausschauend leben sie jetzt in einer altersgerechten Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses.

Im letzten Jahr hat der Reinbeker sein Leben in einem Buch niedergeschrieben. »Moffenkind in Amsterdam« ist im Rediromaverlag erschienen und kostet als Taschenbuch 10,95 Euro. Als Moffenkinder wurden Kinder deutscher Besatzungssoldaten in Holland bezeichnet, Keijzer fühlte sich genauso, weil eines seiner Elternteile Deutsch war.

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