Menschen bei uns

»Mach immer das Beste aus dem Leben«

, von Imke Kuhlmann

Heidi Menßen gibt sich mit Situationen nicht zufrieden, von denen sie glaubt, dass es eine bessere Lösung gibt.

Reinbek – »Ich nehme das Leben, wie es ist«, sagt Heidi Menßen. Sie klagt nicht. Im Gegenteil, Heidi Menßen ist ein positiver Mensch. Und sie ist eine Kämpferin. »Ich gebe mich mit Situationen nicht zufrieden, bei denen ich glaube, dass es bessere Lösungen gibt«, sagt sie. Und obwohl die 75-jährige ein zurückhaltender Mensch ist, geht sie ganz offen mit ihrer persönlichen Geschichte um. Kurz vor dem Abitur ihres Sohnes Jonas (Name geändert) stellt sie eine Wesensänderung bei ihm fest. Für sie beginnt ein Lauf gegen die Zeit.

Die gelernte Sekretärin kommt vor 43 Jahren mit ihrem Mann Wilhelm (82) und ihrem Sohn nach Wentorf. Jonas war zwei. Sie hängt ihren Beruf an den Nagel und arbeitet in Teilzeit bei einem Modeunternehmen. Die Familie ist glücklich. Heidi Menßen macht auch in Teilzeit Karriere und wird zur Betriebsratsvorsitzenden gewählt. »Ich saß oft zwischen Unternehmensleitung und Kollegen, um zu vermitteln«, sagt sie. Jonas machte derweil seinen Weg. Er ging in die Kita, kam zur Grundschule und auf das Gymnasium. »Jonas ist klug«, sagt sie. Doch kurz vor dem Abitur spürten die Eltern, ihr Kind verändert sich. Er wurde stiller, zog sich zurück, manchmal wurde er aggressiv. Mit ihm ging sie von Arzt zu Arzt, von Psychologen zu Psychologen, keiner konnte ihr und ihrem Sohn helfen. »Ich bin so dankbar, dass mein Mann in der ganzen Zeit der Fels in der Brandung für mich war«, sagt sie. Doch zwei Jahre später sollte ihr Weg eine Wendung nehmen. Der Leiter des Geesthachter Gesundheitsamts sagte im Telefonat den entscheidenden Satz, den sie bis heute nicht vergessen hat: »Hier sind sie richtig«.

Heidi Menßen und ihr Sohn bekamen nun endlich Hilfe und für die mutige Frau öffnete sich dadurch auch ihr Weg in ein Ehrenamt und Engagement für Menschen mit psychischen Erkrankungen. »Es ist etwas entstanden, was ebenso meine persönliche Entwicklung geprägt hat«, sagt sie. Ihr Sohn wurde von nun an psychiatrisch begleitet und medikamentös eingestellt. Sein Studium der Wirtschaftsmathematik hatte er abgebrochen doch eine Ausbildung als Fachinformatiker schloss er erfolgreich ab.

Heidi Menßen ließ sich im Laufe der Zeit zur Schwesternhelferin ausbilden und begleitete Gruppenarbeit für Betroffene. »Mein Ziel war es, anderen zu helfen, damit sie nicht das Gleiche durchmachen müssen wie wir«, sagt sie. Sie wollte etwas bewegen und hat vielen Menschen geholfen. »Es ist so wichtig, dass die Gesellschaft einen anderen Blick auf Menschen mit diesen Erkrankungen bekommt«, sagt sie. Das helfe ihnen, aber auch den Angehörigen. Sie wünscht sich mehr Offenheit im Umgang mit Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden.

Darum hat sie jetzt ein Buch über ihre eigene Geschichte veröffentlicht. »Wertschätzung – Der Kampf einer Mutter um das Wohlergehen ihres Kindes«, erschien im Noel Verlag. Das Buch ist das Zeugnis ihrer Erlebnisse. Es zeigt die Liebe zu ihrem Sohn, die Kraft der Familie und die unfassbare Energie von Heidi Menßen, immer wieder Türen zu öffnen. Eine Energie, die ihrem Sohn, dessen Erkrankung nicht heilbar ist, ein Leben ermöglicht hat, mit dem er, aber auch die Eltern Frieden gefunden haben. Jonas lebt inzwischen in einer betreuten Wohngemeinschaft und ist ein zufriedener Mensch. Er ist jetzt 45 Jahre alt. Oft besucht er am Wochenende seine Eltern und bekocht sie. Die Familie hat sich nicht unterkriegen lassen.

Einfühlsam beschreibt Heidi Menßen ihre Sorgen, ihre Ängste aber genauso ihre unbändige Kraft und Offenheit. Mit dem großen Ziel, anderen zu helfen und der Gesellschaft zu zeigen, es kann auch in der größten Krise ein gutes Ende geben.

»Geduld ist das Schwerste und Einzige, was zu lernen sich lohnt«, zitiert sie Hermann Hesse. Wie immer wieder in ihrem Buch, geben ihr und den Lesenden Zitate einen Ausdruck ihrer Gefühle.

14 Jahre lang hat Heidi Menßen ehrenamtlich im psychiatrischen Bereich gearbeitet. Oft war sie die einzige Ehrenamtliche unter lauter ausgebildeten Experten. Ihre eigene Kraft hat sie aus dem Theater geholt, ob als Schauspielerin, als die sie in Rollen schlüpfen konnte, die sie im täglichen Leben nicht einnimmt, als Regisseurin oder als Vorsitzende der Hans Sachs Bühne in Bergedorf. »Theater ist mein Hobby«, sagt sie. Und sie ist stolz auf das was sie erreicht hat. »Im Theater konnte ich mich öffnen«, sagt die bescheidene Frau, die in ihren Rollen aufging und dem Ensemble Auftritte auf besonderen Bühnen ermöglichte. »Da konnte ich die sein, die ich im täglichen Leben nicht bin«, erzählt sie. Und auch hier war das Ehepaar ein gutes Team. Ihr Mann Wilhelm, leidenschaftlicher Hobby-Maler, gestaltete die Bühnenbilder.

Ihre positive Lebenseinstellung hat Heidi Menßen auch durch Yoga bekommen. »Mit Yoga ist mein Körper frei«, sagt sie. »Das Leben ist so wie es ist, mach das Beste draus«, so ihre Devise.  Heidi Menßen ist glücklich mit ihrem Leben. Und die Mutter ist stolz auf ihren Sohn, der seine Lebenssituation so angenommen hat, wie sie ist. Das habe ihm Ruhe gebracht. »Wir haben ihn nie bemitleidet«, sagt sie aber sie haben ihn immer mit Liebe begleitet.

Das Buch von Heidi Menßen gibt es in allen Buchhandlungen oder über das Internet zum Preis von € 14,90. »Es lohnt sich genauso für Nicht-Betroffene das Buch zu lesen, um zu verstehen, wie es Menschen mit psychischen Erkrankungen geht«, sagt sie.

Imke Kuhlmann

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