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Keine Reise ohne Fahrrad

, von Imke Kuhlmann

Seit 1994 radelt Erika Tischler in der Radsportgruppe der TSV Reinbek, seit 2001 ist sie dort Radtourenleiterin, seit 2013 Spartenleiterin im Verein.

Reinbek – Rund 140.000 Kilometer ist Erika Tischler schon mit ihrem roten Trekking-Rad geradelt. Das Zweirad begleitet sie bereits viele Jahre. Sie hat es extra für ihre Bedürfnisse anfertigen lassen. »Fahrradfahren ist für mich Freiheit. Ich mag die Nähe zur Natur, das Alleinsein genauso wie das Radeln in der Gruppe und die Begegnungen am Straßenrand«, sagt sie. Das Rad ist nicht nur ihr täglicher Begleiter, es darf auch auf Reisen nicht fehlen.

Die 77-jährige lernte im Alter von sechs Jahren Fahrradfahren. Mit drei Schwestern ist sie auf einem Bauernhof in Küstrin groß geworden. Die Kleinstadt liegt an der polnischen Grenze und gehört zum einen Teil zu Deutschland, zum anderen zu Polen. Ihre Mutter zog die Kinder allein groß. Das Leben auf dem Land gefiel ihr. Aachen, Kiel und Lübeck waren Stationen in ihrem Leben bis der Weg die gelernte  Krankenschwester nach Hamburg führte. Auch sie erzog ihren heute 52 Jahre alten Sohn allein. Seit 1993 lebt sie in Reinbek. »Die Bedingung für den Umzug war für mich, dass es eine Sportgruppe im Ort gab, der ich mich anschließen konnte«, sagt sie. Die gab es und gibt es noch heute. Seit 1994 radelt sie in der Radsportgruppe, seit 2001 ist sie Radtourenleiterin, seit 2013 Spartenleiterin bei der TSV Reinbek. Die Unterstützung der Geschäftsstelle weiß sie dabei immer zu schätzen.

Sport liegt bei den Tischlers in den Genen. Als Kind war Sohn Markus Leistungssportler. Als Leichtathlet favorisierte er die Mittel- und die Langstrecke. Quer durch Deutschland reisten Mutter und Sohn zu den Wettkämpfen. Damals noch mit dem Auto. Erika Tischler meisterte das neben einem ausgefüllten Berufsleben. Sie setzte ein Studium der Sozialpädagogik auf ihren Beruf als Krankenschwester und beendete ihr Berufsleben als Heim- und Pflegedienstleiterin.

Die Leidenschaft zum Fahrradfahren hat sie nie losgelassen. Mit Yoga, Pilates, Gymnastik oder Konditionstraining hält sie sich zudem fit. Regel-mäßig arbeitet sie Touren für die Radgruppe aus. Jede Strecke wird vorher abgefahren. Allein, damit sie ganz konzentriert sein kann. Ein E-Bike oder auch Pedelec kommt ihr jedoch nicht ins Haus. Mit Fach-Literatur bereitet sie die Routen vor, kennt jede Abbiegung bereits im Vorfeld genau. Zehn bis 20 Radler sind dabei, wenn es auf offizielle Tour geht. Bis zu 70 Kilometer legt die Gruppe dann zurück. »Es sind viele Senioren, die uns begleiten«, so die Sportlerin. Sie würde sich freuen, wenn zudem jüngere Teilnehmer hinzukämen und bietet daher Sonntagstouren für diese Zielgruppe an.

Ehrenamtliches Engagement lag Erika Tischler schon immer am Herzen. Sei es bei der Organisation von Stadtteilfesten, in der Kindertagesstätte, der Schule oder bei der Kirche als ihr Sohn noch klein war. Und auch heute hat das Ehrenamt in ihrem Leben einen besonderen Stellenwert. Neben ihrem Engagement bei der TSV ist seit 2015 ebenso in der Flüchtlingshilfe aktiv. Aktuell bietet sie einen Fahrradkursus für Frauen an, der sich genauso an Migrantinnen richtet.

Das Fahrradfahren hat Mutter und Sohn zusammengeschweißt. Die beiden teilen die Leidenschaft bis heute und haben gemeinsam schon viele Flecken der Welt erkundet. Nach Deutschland und Europa ging es in ferne Länder. Immer dabei, der Fahrradkorb und die Satteltaschen. 1984 reiste sie mit dem damals 16-jährigen Sohn nach Amerika. Mit dem Greyhound Bus fuhren sie von Arizona nach Calgary. Mit dem Rad entdeckten sie zwischendurch die Vancover Islands.

Seit dem ist das Fahrrad immer im Gepäck, egal ob es nach Vietnam, China, Kuba, Hawaii oder nach Neuseeland geht. An die 2.500 Kilometer radeln Mutter und Sohn dann durch die Lande. Und sollte es mal eine Panne geben, kein Problem. Natürlich kann Erika Tischler ihr Rad selber flicken. Aber auch eine Gruppenreise steht schon mal auf dem persönlichen Reise-Programm. Dann wird alles vom Veranstalter gestellt, inklusive Fahrrad. Für die aktive Seniorin ist das eine schöne Abwechslung. Bereits zweimal bereiste sie so Südafrika. Und ebenso den Jakobsweg eroberte sie mit dem Fahrrad. Eine Reise ohne Rad ist für Erika Tischler nicht denkbar. Das Zweirad ist ihr täglicher Begleiter. Das Auto hatte sie mit Ende des Berufslebens abgeschafft.

Der weibliche Fahrradfan ist froh, dass das Fahrradfahren wieder in der Beliebtheitsskala der Menschen steigt. »Vor allem junge Leute fahren viel«, sagt sie. Und sie freut sich, dass diese Form der Fortbewegung zudem dem Klimaschutz dient.

Eigentlich wollte sie im letzten Jahr noch nach Japan reisen, doch Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Inzwischen ist sie nicht mehr so begeistert von Flugreisen und will sich eher auf Deutschland und Europa konzentrieren. Wehmütig wird sie dabei nicht. »Deutschland ist so wunderschön«, schwärmt sie. Überall in der Welt hat sie Familie und Freunde, die sie gern besucht. Und wenn das nicht klappt, nutzt sie die Dachgeber. Ein privates Übernachtungsangebot von Radlern für Radler. Sie selber ist auch Dachgeberin.

Erika Tischler ist ein fröhlicher und positiver Mensch. Das viele Radfahren mag dazu beigetragen haben aber genauso ihre Lebensphilosophie: Es gibt für alles eine Lösung. Manchmal muss man dafür über den eigenen Schatten springen.

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