Jubiläum im Rathaus

Vom »Postjungboten« zum Bürgeramtsleiter

, von Kerstin Völling

Am Morgen danach ist Bürgeramtsleiter Torsten Christ bestens aufgelegt. Freudig erzählt er, wie verschiedene Teams Hand in Hand gearbeitet haben. Bis 24 Uhr hatte Christ am Vortag in einer Lehreinrichtung ausgeharrt: Er war sogar dabei, als ein »Windelnotstand« unter rund 200 Neuschönningstedter ausgerufen wurde, die wegen der Bombenentschärfung in Glinde evakuiert und in der Gertrud-Lege-Schule am Querweg untergebracht worden waren. Doch es habe kein Problem gegeben, das nicht gelöst worden sei. Christ unterstützte Ilona Akopjan von der Arbeiterwohlfahrt bei der Betreuung der Flüchtlinge in der Menschenmenge. Er stellte sich wie andere Verwaltungsmitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung, half mit, den ein oder anderen Kaffee zu verteilen, ermutigte das Deutsche Rote Kreuz und den Arbeiter Samariter Bund in ihrem Einsatz, sammelte Infos über den Verlauf der Entschärfung und gab sie weiter. Und während andere verzweifelt fragten, was die Reinbeker Verwaltung eigentlich verbrochen hat, dass wie aus dem Nichts schon wieder ihr spontanes Krisenmanagement gefordert war, gingen bei Christ die Mundwinkel eher nach oben: »Ich liebe Neues«, erklärt er schlicht. Bürgermeister Björn Warmer formuliert es so: »Torsten Christ ist ein Krisenbewältiger, der Pragmatiker schlechthin. Er funktioniert besonders gut in Situationen, die weit über den Verwaltungsalltag hinaus gehen.« Viele denken da sicher als Erstes an den Flüchtlingsstrom 2015 und die schnellen Lösungen, die insbesondere Christ finden musste.
Kein Wunder also, dass Warmer dem »tollen Kollegen« demonstrativ vor der Presse zu seinem 40jährigen Dienstjubiläum am 1. August 2019 gratulierte. Auch Matthias Fiebing vom Personalrat kam persönlich vorbei, ebenso der Amtsleiter für Inneres, Jürgen Vogt-Zembol – stellvertretend für alle städtischen Mitarbeiter.

Sie gratulieren Torsten Christ (2. v. links) zum 40jährigen Dienstjubiläum: Matthias Fiebing vom Personarat, Bürgermeister Björn Warmer und Jürgen Vogt-Zembol, Amtsleiter für Inneres. – Foto: Kerstin Völling

Dabei hatte es für Christ anfänglich gar nicht nach einer steilen Karriere in der Verwaltung ausgesehen. Am 28. September 1962 als ältester von vier Brüdern in Lauenburg geboren, ging er dort auch zur Schule und machte mit 15 Jahren seinen Hauptschulabschluss. Nach einer Ausbildung von 1978 bis 1980 durfte er sich »Postjungbote« nennen. »Da war ich stolz drauf«, erinnert sich Christ heute, »damals hatte die Post noch einen ganz anderen Stellenwert. Ich habe nur schöne Erinnerungen an die Zeit.« Die Post sollte es auch sein, die sein Leben entscheidend veränderte. Denn bei der Post lernte er seine spätere Frau Christina kennen. »Als ich eine Familie gründen wollte, entwickelte ich den Ehrgeiz mich weiterzubilden, um finanziell besser da zu stehen«, sagt er. Ein Jahr lang ging er zur Fachoberschule, wechselte 1991 zur Stadt Reinbek und wurde 1994 Diplomverwaltungswirt. Die anfängliche Besorgnis, den sicheren Beamtenjob bei der Post vorschnell aufgegeben zu haben, verflog. Der Vater zweier Kinder (Torben, heute 30, sowie Jana, heute 29) merkte, dass die Verwaltung »Seins« war. Vor allem das Sachgebiet »Soziales« interessierte ihn: Bereits 1995 übernahm er die Leitung. Nach einer Umstrukturierung der Verwaltung 2012 ergab sich auch für Christ 2013 ein neues Aufgabenfeld: Er wurde Bürgeramtsleiter und ist es bis heute.

»Er überrascht mich immer wieder aufs Neue. Schubladen sind zwecklos, er passt in keine«, sagt Bürgermeister Warmer über seinen Team-Kollegen. Und wer den Amtsleiter in den Ausschüssen als besonnenen, stets korrekten und meist zurückhaltenden Zeitgenossen erlebt hat, weiß, was Warmer meint. Denn kaum einer würde erwarten, dass Christ an Fehmarns Stränden mit dem Kite-Surfboard loopt. Oder etwa in voller Ledermontur auf seiner Yamaha gen Honstorf (Niedersachsen) braust – wo er seit 1985 wohnt. Kann aber auch sein, dass man ihn beim Hochseeangeln in Dänemark »erwischt« oder auf der Autobahn, wenn er mit seinem VW-Bus auf Abenteuertour geht. Denn all das sind tatsächlich die Hobbies des Amtsleiters.

Was kaum einer weiß: Mit knapp 57 Jahren steht Christ kurz vor seiner ersten Masterarbeit. Seit zwei Jahren studiert er, so ganz nebenbei, Sozialmanagement an der Leuphana Universität in Lüneburg. »Das hätte ich mir in meinem Alter auch nicht träumen lassen«, gibt er zu. »Ich hatte schon an Vorruhestand gedacht, aber der Bürgermeister hat mich gefragt, ob ich zu diesem Studium Lust hätte.« Christ entschied sich für das Studium. Denn damit kann er eine völlig neue Verwaltung mitgestalten. »Prozessoptimierung und Organisationsentwicklung sind aktuelle Themen in Reinbek, die in Lüneburg praxisgenau gelehrt werden«, erklärt der Jubilar. So sei er etwa auch davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Verwaltung des 21. Jahrhunderts positiv voranbringen werde: »Irgendwann wird mir ein Computerprogramm sagen, an welchen Tagen ich mehr Mitarbeiter in bestimmten Arbeitsbereichen einsetzen muss und an welchen nicht.« Und das sei gut so. Die Berufsbilder innerhalb der Verwaltung würden sich auch dadurch grundlegend verändern. Doch Christ sieht moderne Technik inklusive Social Media nicht als Feind, sondern als Hilfsmittel. Damit könne man nicht zuletzt Analysen mit verlässlichen Zahlen schneller und präziser erstellen. Diese brauche man beispielsweise für den kommenden Armutsbericht der Stadt Reinbek. »Und dieser Armutsbericht liegt mir sehr am Herzen«, betont Christ. Generell sei aber eine moderne Verwaltung die Voraussetzung dafür, dass sich wieder Menschen aller Altersklassen für die Verwaltungsarbeit interessierten. Und das will Christ in der Reinbeker Verwaltung unbedingt noch miterleben. Das 50. Dienstjubiläum peilt er schon mal an.

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