Menschen bei uns
»Ich möchte nicht, dass aus Ali ein Amri wird.«
, von Christa Möller
Wentorf – Seit 2014 engagiert sich Wulf Kühne beim Runden Tisch Asyl für Flüchtlinge in Wentorf. »Ich wurde von Sibylle Hampel angesprochen, weil ich 14 Jahre lang in Hamburg Deutsch für Ausländer unterrichtet habe«, erzählt der 75-Jährige Russisch-Lehrer, der außerdem Erziehungswissenschaften studiert hat. In der Alten Schule erteilt er Flüchtlingen Deutschunterricht, gemeinsam mit Wulf Sorge und Liane Thürer-Smid.
Sein Leitsatz für seine Flüchtlingsarbeit: »Ich möchte nicht, dass aus Ali ein Amri wird.« Der Asylbewerber solle sich nicht zu einem Terroristen entwickeln. Er spricht fließend Französisch und Englisch, hat aber auch Flämisch und Türkisch gelernt.
Wulf Kühne wurde in Zeitz / Sachsen-Anhalt geboren und kam als 15-Jähriger nach Hamburg. Er unterrichtete an acht verschiedenen Schulen und war zuletzt in Neu-Allermöhe West tätig. »Ich war leidenschaftlicher Hauptschullehrer«, sagt der aktive Senior, der sich nach dem Ruhestand zuhause langweilte und der zuerst beim Projekt Ausbildungsbrücke aktiv war, das jugendlichen Schulabgängern bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz hilft. Dass in Wentorf Flüchtlinge leben, hat er damals gar nicht gewusst, »denn die waren ja kaum zu sehen.«
Seinen eigenen Einsatz hat der Vater von vier Kindern, der auch vier Enkelkinder hat, aus persönlichen Gründen gerade etwas reduziert und die Aufgabe des Sprechers an Birgit Helms weitergegeben.
Mit dem Deutschunterricht ist Wulf Kühne aber auch heute noch zweimal wöchentlich für 90 Minuten aktiv. Gerade begleitete er einen Ausflug mit immerhin 51 Wentorfer Teilnehmern aus Flüchtlingsfamilien nach Planten un Blomen in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz Betreuungsdienste in Schwarzenbek.
»Es dürfte eigentlich überhaupt keine Flüchtlinge geben«, ist der Wentorfer, der seit 17 Jahren in der Gemeinde wohnt, überzeugt, »wenn in ihrem Heimataland alles rechtmäßig zuginge. »Aber wenn sie hierher kommen, dann sollten sie die Chance bekommen, so gut zu leben wie wir auch.«
Das Ehrenamt hat sich ausgeweitet, so unterstützt er seine Schüler, wenn es etwa Probleme mit dem Lesen der Post von Kindergarten, Anwalt oder Behörde gibt. Für die Volkshochschule hat er dreieinhalb Monate eine Gruppe nicht-anerkannter Flüchtlinge in Wentorf unterrichtet. »Sie machen das mit großer Begeisterung – in der Hoffnung, dass das ihre Bleibechancen erhöht.« Das sei aber nicht zwingend der Fall. So kommen während des Unterrichts schon mal Flüchtlinge mit einem gelben Brief zu ihm. Sie sollen kurzfristig abgeschoben werden – nicht in ihre Heimat, sondern in das Land, in dem sie zum ersten Mal registriert wurden. Bislang gab es allerdings nur einen Fall, bei dem die Abschiebung tatsächlich erfolgte.
Von seinem Sprachunterricht profitieren auch anerkannte Flüchtlinge, die Integrationskurse besuchen. Anerkannt werden Flüchtlinge, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder aus politischen Gründen verfolgt werden. Aber wer beispielsweise Blutrache fürchten muss, für den gibt es kein Bleiberecht. Und auch Wirtschaftsflüchtlinge fallen nicht unter die obigen Kategorien. »So etwas geht uns sehr nahe, ich habe schon einmal geweint, als jemand abgeschoben werden sollte. Das betraf jemand, der sehr gut integriert war, zielstrebig Deutsch lernte, bereits Arbeit gefunden hatte und sich innerhalb der Gemeinschaft für andere sehr eingesetzt hatte.« Die Abschiebung konnte verhindert werden.
In Wentorf leben etwa 160 Flüchtlinge, darunter viele, die vom Job-Center alimentiert werden. In den Unterkünften am Südring und in der ehemaligen Hauptschule am Fritz-Specht-Weg sind rund 120 Menschen untergebracht. »Wir haben in Wentorf kein sichtbares Ausländerproblem. Das hängt auch damit zusammen, dass es uns gibt«, sagt er. »Wenn jetzt die 140 Flüchtlinge dazukommen, die noch in Wentorf untergebracht werden sollen, dann kann wieder sehr viel Arbeit auf uns zukommen«, stellt Wulf Kühne fest.
Zehn bis zwölf Aktive sind derzeit beim Runden Tisch tätig. Die Mitglieder tauschen sich regelmäßig alle 14 Tage aus. Sie können weitere Unterstützung gut gebrauchen: »Wir haben zuwenig Mitglieder unter 65«, weiß er. Interessierte erfahren Näheres über den Runden Tisch Asyl bei der Vorsitzenden Renate Binder, Tel. 0171-1441032, oder bei Wulf Kühne, Tel. 0179-1109556.
Kühne interessieren nicht nur andere Sprachen, sondern gemäß seinem Motto: »Ich suche immer den Kontakt zu den Menschen« auch andere Kulturen. Dazu passen seine Reiseziele: Belgien, Frankreich und Italien, aber auch Ägypten und die USA. In die Türkei reiste er mit seiner Frau bereits 1972: »Da gab es an der Südküste noch kaum Hotels. Wir sahen Nomaden, die mit ihren Kamelen durchs Land zogen. Und Kinder liefen mit Ziegenherden über die Straße. Die Türken waren unglaublich gastfreundlich und aufgeschlossen.« Ihn reizten Land und Leute und zurück in Hamburg lernte er als Gasthörer an der Universität ihre Sprache.
Seine russischen Freunde besucht er jedes Jahr. Mit seinen Hauptschülern hatte er zu Zeiten der Hungersnot in Leningrad 1990 / 1991 im Rahmen einer Patenschaft Spenden nach Russland geschickt. »So entstand der Kontakt. Ich habe festgestellt, dass Russland anders ist als Fernsehen und Zeitungen berichten. Die Menschen sind sehr herzlich. Die Russen sagen, sie haben im Krieg gegen die Faschisten gekämpft. Sie haben keine Abneigung gegen die Deutschen.« Viele Holländer, Belgier und Franzosen dagegen lehnten wegen des Krieges bis in die 70er Jahre die Deutschen ab. Doch auch in Flandern pflegt er eine Freundschaft, entstanden aus einer Briefpartnerschaft während seiner Schülerzeit. »Dort wurde ich innerhalb der Familie trotz schlimmer Kriegserlebnisse wie ein Sohn aufgenommen.«
In Italien beim Besuch seiner Tochter komme ihm der Lateinunterricht aus Schulzeiten zugute, wie der begeisterte Hobbyfotograf und Wanderer verrät.
Im Laufe seines Lebens sei er lockerer geworden »und großzügiger, was fremde Menschen angeht, ich habe eher Verständnis. Ich entschuldige nicht immer alles, aber ich verstehe, wenn sich Menschen anders verhalten.«