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»Sprich zum Elefanten!«

, von Hartmuth Sandtner

Michael Allmaier besucht in Budapest den Politologen Levente Littvay. Der beschäftigte sich früher mit der Vererbbarkeit von Überzeugungen. Das ist ihm zu langweilig geworden. Es stimme zwar, dass die Gene eines Menschen beeinflussen, woran er glaubt. Aber auch wer zum Rebellen geboren sei, werde keiner in Nordkorea. Darum sind Populismus und Verschwörungstheorien heute seine Themen. – Als sie im Straßencafé sitzen, wo gleich ein paar Tauben sich ihnen nähern, führt er seinen Gast ins Thema ein: »Fällt dir was auf?«, raunt Littvay ihm zu. »Die sind alle genau gleich groß. Das sind nämlich gar keine Tauben.« Das ist seine liebste Verschwörungstheorie. Sie behauptet, die US-Regierung habe in den Sechzigerjahren alle Vögel verschwinden lassen und durch Spionagedrohnen ersetzt. Littvay: »Das hat sich mal einer als Satire ausgedacht. Inzwischen glauben viele daran, er kann es nicht mehr stoppen.« – Allmaier: »Wenn “die da oben“ uns bespitzeln, bedeutet das: Wir sind wichtig.« »Und mehr noch«, sagt Littvay: »Wir sind clever. Wir haben sie durchschaut.«

Michael Allmaier beschreibt in der ZEIT v. 14.8.25 unter der Überschrift »Wie zur Hölle kommst du denn darauf?« seine Rundreise auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum Bildung bei der Meinungsbildung keine Hilfe zu sein scheint. »Intelligenz wird gern genutzt, um eigene Denkfehler wegzuerklären, statt sie zu korrigieren«, ist seine Beobachtung. »Die Köpfe der Deutschen sind voll von Überzeugungen, wie man sie nicht in der Schule lernt: Regierungsbehörden überwachen uns (glauben 17%), geheime Mächte steuern die Welt (glauben 31%).«

In Bautzen wollte er sich mit einem Künstler nach dessen Auftritt treffen, der sich am Telefon fröhlich mit »Der Querulant« gemeldet hatte. Mit seinen linksliberalen Überzeugungen fühlte sich Allmeier in Bautzen als Extremist: In seinem Viertel in Hamburg kam die AfD zuletzt auf 4%, in Bautzen auf 46. Allmeier: »Auf der Bühne arbeitet der Kabarettist die ganze rechte Palette ab. Er bagatellisiert den Klimawandel, verteidigt Russland, beklagt Redeverbote, macht sich lustig über Queere – das Publikum jubelt ihm zu«. Das geplante Treffen sagt er kurzfristig ab. »Er schickt eine Textnachricht, er habe ein übles Bauchgefühl und müsse sich schützen.«

Jonathan Haidt, der amerikanische Psychologe, liefert dafür in seinem Buch »The Righteous Mind« die Erklärung. Allmaier: »Sein Lieblingsbild für den menschlichen Geist ist ein Reiter auf einem Elefanten.« Haidt: »Der Reiter ist unser bewusstes Denken – der Strom von Worten und Bildern, dessen wir uns voll bewusst sind. Der Elefant steht für die anderen 99 Prozent der mentalen Prozesse – diejenigen, die außerhalb unseres Bewusstseins ablaufen«. Je schlechter die Zeiten, so schreibt Haidt, umso größer wird unser Verlangen, Teil einer Gruppe zu sein. Weil wir soziale Wesen sind.

Mit diesen Ideen im Kopf dachte Allmeier zurück an Bautzen. »Stand da auf der Bühne vielleicht bloß ein Verunsicherter, der mit allen Mitteln Geborgenheit suchte bei den Menschen im Saal? Der einen Schwall neurechter, altlinker und unfertiger Ideen an ihnen erprobte, als wollte er fragen: Was muss ich denn glauben, damit ihr mich mitmachen lasst?« Und er fragte sich: »Was bliebe von meinen Überzeugungen, wenn es mich nach Bautzen verschlüge?«

Der Psychiater Philipp Sterzer erklärt in seinem Buch »Die Illusion der Vernunft«, warum wir von unseren Überzeugungen nicht zu überzeugt sein sollten. Darin beschreibt er, wie normale und wahnhafte Ideen einander sehr ähnlich sind. Sie entstehen auf dieselbe Art und dienen demselben Zweck: »uns einen Reim auf die Ungereimtheiten in der Welt um uns herum zu machen«. Allmeier besucht Sterzer in der Universitätsklinik in Basel: »Sein Blick auf Überzeugungen beginnt im Gehirn. Das bekommt von der Welt nichts mit bis auf eine Flut von Sinnesreizen. Es formt sie zu einer Fantasie von Wirklichkeit. Auf dieses fragile Gebilde türmen sich dann unsere Überzeugungen: Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit; Aus Klimaschutzgründen sollte man nicht so viel fliegen«. Wo nehmen wir die her? – Allmeier: »Sterzers Antwort ist ernüchternd. Vieles plappern wir ungeprüft nach – erst den Eltern und den Lehrern, später dann Wissenschaftlern oder Politikern, Leuten eben, denen wir vertrauen. Unser Gehirn soll uns ja nicht zur Wahrheit führen, sondern heil durchs Leben.« Mit Fakten hat unser Gehirn eine sehr spezielle Art, damit umzugehen. Informationen, die uns nicht passen, übersehen wir oder fühlen uns durch sie sogar bestätigt: »Wenn die das behaupten, ist ja klar ...«.

Allmeier: »Wie redet man mit Menschen, die die Welt völlig anders sehen?« Philipp Sterzer verdeutlicht in seinem Buch, »dass wir viele unserer Überzeugungen hauptsächlich deswegen vertreten, weil sie für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe stehen. Darum müssten wir erst mal unsere eigenen Überzeugungen kritisch hinterfragen. Denn »Überzeugungen sind Hypothesen, die sich immer als falsch herausstellen können.« Und wir können an unserer Unsicherheitstoleranz arbeiten, uns darin üben, Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und zu ertragen, »in der Hoffnung, dass uns dies einen selbstkritisch-reflektierten Blick auf unsere eigenen festgefahrenen Überzeugungen und eine tolerante Haltung gegenüber den Überzeugungen anderer ermöglicht. Für ein kooperatives und friedliches Zusammenleben in pluralen Gesellschaften.« – Michael Allmeier: »Der Psychologe Haidt sagt sinngemäß: Sprich zum Elefanten – wenn die Leute dich mögen, hören sie besser zu.«

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