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Armutsforscher fordert Ehrlichkeit

, von Hartmuth Sandtner

Anzeige von insm.de in der Süddeutschen Zeitung vom 21. April 2021 auf Seite 5

»Ungleichheit wird unerträglich, wenn sie maßlos ist«, sagte schon Jakob Augstein 2013 in seinem Buch »Sabotage«, mit dem Untertitel, »Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen«. Inzwischen »ist die Vermögensungleichheit hierzulande fast genauso hoch wie in den USA«, so Armutsforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln. In seinem Beitrag in der Süddeutschen »Die Armut frisst sich in die Mitte« (bit.ly/3es6VOR) fordert er: »Wir müssen endlich ehrlich über Ungleichheit sprechen«.

2001 wurde von der Bundesregierung der erste Armuts- und Reichtumsbericht präsentiert. Bis dahin war Armut immer geleugnet worden, beschreibt Butterwegge. Schon der damalige wie auch der aktuelle Bericht vom 22. März 2021 bedient – so der Politikwissenschaftler – »ein neoliberales Narrativ, das Armut verharmlost und Reichtum verschleiert.« Laut Statistischem Bundesamt verfügen 13,2 Millionen Menschen in Deutschland über weniger als 1074 € im Monat. Demgegenüber gehören den reichsten 10 % der Bevölkerung inzwischen mehr als 67 % des Nettogesamtvermögens.

Butterwegge benennt drei Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben: Das Anwachsen des Niedriglohnsektors, die Demontage des Sozialstaates und die Abschaffung bzw. Senkung aller Kapital- und Gewinnsteuern sowie des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer.

Hinzu kommt, so Butterwegge, dass »die staatliche Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik privaten Investoren das Feld überlassen« hat, was dazu führte, dass viele Familien sich die Innenstädte nicht mehr leisten können und stattdessen in Hochhaussiedlungen leben müssen, in denen über die Hälfte aller Kinder von Sozialgeld leben. Butterwegge sieht darin »die soziale Frage des nächsten Jahrzehnts. Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« legt – aus seiner Sicht – »die Axt an die Wurzel. Man sollte die Wohnungsversorgung als Kernbestandteil der sozialen Daseinsvorsorge sehen und in die öffentliche Verantwortung nehmen.«

Butterwegge sieht einen Grund für diese  Entwicklung bei uns in der Usance, dass im Unterschied zu anderen Ländern in Deutschland über Armut nur in der Vorweihnachtszeit gesprochen wird. Und zum anderen darin, dass hier mit dem Begriff der «Sozialen Marktwirtschaft« »suggeriert wird, dass wir gar keinen Kapitalismus mehr hätten.«

Insofern passt es ins System, dass zwei Tage nach der Nominierung von Annalena Baerbock in der Süddeutschen eine ganzseitige Anzeige (siehe oben) dieser nichtparlamentarischen Macht insm.de auf Seite 5 veröffentlicht wird.

Für Baerbock eine Aufforderung zum Tanz.

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