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Die Frau, die den Tieren Namen gab

, von Hartmuth Sandtner

»In der Bibel galten Tiere noch als Objekte, im 17. Jahrhundert beschrieb sie der französische Philosoph René Descartes als seelenlos, als Maschinen, die wir zu unserem Nutzen verwenden konnten.« Daran erinnert Katharina Kropshofer in ihrem Nachruf auf Jane Goodall in der Wiener Wochenzeitung Falter. Und fährt fort: »Charles Darwins Evolutionstheorie rund 200 Jahre später kränkte die gesamte Menschheit. Doch durch Goodalls Erkenntnisse konnte niemand mehr ohne Anführungszeichen vom Menschen als »Krone der Schöpfung« sprechen.« Am 1. Oktober 2025 ist die Primatenforscherin Dr. Jane Goodall im Alter von 91 Jahren gestorben. Während einer Vortragstour in Kalifornien.

Kropshofer: »Goodall hat unsere Sicht auf Tiere und somit das Verhältnis der Menschen zu sich selbst auf den Kopf gestellt. Und wurde mit ihrer Forschung zu einem feministischen Vorbild für Millionen junger Mädchen und Frauen.« Als 26-Jährige ohne akademischen Abschluss ging sie in die Wälder von Tansania und baute sich ein kleines Versteck aus Palmwedeln, um die Schimpansen nicht zu erschrecken. Als nach vier Monaten sich einer von ihnen endlich näherte und feststellte, dass von ihr keine Gefahr ausging, half er ihr, das Vertrauen der anderen zu gewinnen. Kropshofer: »Sie nannte ihn David Greybeard.« Das sorgte in der Wissenschaftsetage für große Kritik: »Tieren, also “Forschungsobjekten“, Namen zu geben, war damals ein wissenschaftliches Tabu.« »Ich hatte damals noch keine Hochschule besucht und wusste nichts von der arroganten Wissenschaft. Später hat man mir gesagt, ich hätte sie wissenschaftlich nummerieren sollen. Zum Teufel damit! Ich hasse Zahlen!«, sagte Goodall im Mai 2022 dem Falter.

Als der britische Anthropologe Louis Leakey in den 1960er-Jahren Frauen zur Beobachtung von Schimpansen suchte – Frauen seien geduldiger und somit bessere Beobachterinnen – lernte er durch Freunde Goodall kennen und schickte sie in den tansanischen Gombe Nationalpark. Die Vielzahl der von ihm entdeckten homininen Fossilien, so weiß es Wikipedia, »trug maßgeblich dazu bei, die Annahme Darwins zu untermauern, dass der Mensch (Homo sapiens) in Afrika entstand.« Nun wollte er mehr über die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen herausfinden. Übrigens musste Goodall ihre Mutter mitnehmen. Denn die britischen Kolonialverwalter wollten die junge Frau nicht alleine einreisen lassen. Kropshofer: »Bis 1986 studierte sie das Verhalten der Schimpansen und wurde so zur ersten Forscherin, die beobachtete, wie Schimpansen Werkzeuge verwenden. David Greybeard hatte einen Zweig von Blättern befreit, um damit nach Termiten zu fischen.« Von Louis Leakey, ihrem Mentor, gibt es das Zitat: »Jetzt müssen wir entweder unsere Definition von Werkzeug ändern, unsere Definition von Mensch – oder Schimpansen als Menschen akzeptieren.« Goodall zeigte auch, dass die Menschenaffen komplexe Gesellschaften bilden, mitunter aggressiv werden, sich sogar gegenseitig umbringen. Kropshofer: »Und somit, dass Menschen und Schimpansen einander ähnlicher waren, als manchen lieb war.«

Neben ihrer Forschung hat Jane Goodall 31 Jane-Goodall-Institute auf der ganzen Welt etabliert – auch in München, Zürich, Wien und Paris – die den Schutz der Schimpansen und ihrer Lebensräume weiter propagieren. 1991 gründete sie Roots & Shoots (rootsandshoots.org.), ein Jugendprogramm, das Kinder und Jugendliche weltweit motiviert, sich für Menschen, Tiere und die Umwelt zu engagieren. 1994 gründete sie TACARE in Tanzania für nachhaltige Entwicklung in afrikanischen Dörfern.

»Weder der Rückgang der Schimpansenpopulationen, die Zerstörung ihres Lebensraums, noch die internationalen Rückschritte in der Klimapolitik«, schreibt Kropshofer, »nichts davon änderte etwas an ihrem Glauben an die Kraft der Natur. Für Goodall war diese Hoffnung Antrieb, über eine bedauernswerte aktuelle Lage hinaus. Hoffnung, argumentierte sie, ist nicht nur »passives Wunschdenken«, sondern ein »entscheidender Überlebensvorteil«. »Wenn man keine Hoffnung hat, dass seine Aktionen einen Unterschied machen, wieso sollte man dann überhaupt irgendetwas tun? Dann wird man zum Zombie.« Ihr letztes Buch »The Book of Hope: A Survival Guide for Trying Times« (Ein Überlebensleitfaden für schwierige Zeiten) erschien 2021.

In der ZEIT vom 8.10.25 berichtet Elisabeth von Thadden, dass Netflix eine Serie »Famous Last Words« neu aufgelegt hat, in der alte und bedeutende Menschen zu Lebzeiten um letzte Worte gebeten werden, die erst nach ihrem Tod ausgestrahlt werden. Den Anfang macht Jane-Goodall. Da wird sie u.a. um ihre letzten Worte gebeten. Ihre Antwort: »Tut, was ihr könnt, solange ihr noch auf dem wunderbaren Planeten lebt, auf den ich herunterschaue von dort, wo ich jetzt bin.«

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