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»So stehen wir da.«

, von Hartmuth Sandtner

»Die Fronten sind klar«, schreibt Katharina Körting in der Internet-Ausgabe des der freitag vom 28.2.23 (Gegeneinander für den Frieden) über die Schwarzer/Wagenknecht-Demo in Berlin. »Blaugelbe Nationalflaggen gegen weiße Friedenstauben auf blauem Grund. Die einen sehen in Waffenlieferungen und Aufrüstung das Gebot der Stunde, die anderen fordern sofortige Verhandlungen mit Wladimir Putins Russland.« Die Journalistin und Autorin (»Liquidierung der Vergangenheit«, 2021) wollte sich von der Demo am 25.2.23 am Brandenburger Tor einen persönlichen Eindruck verschaffen. Denn »Rund um den Jahrestag des Kriegsbeginns nötigen Schlagzeilen und Ukraine-Krieg-Dauersendungen zur Parteinahme«, – so ihre Meinung.

Beide »Lager« bombardieren einander mit zum Teil wortgleichen Vorwürfen: Naivität, Dummheit, Empathielosigkeit, Zynismus, Faschismus, Geschichtsvergessenheit. Und beide operieren mit Angst, beschreibt sie. Körting: »Es gibt nur einen Unterschied: Das blau-gelbe Lager wird von den meisten Medien demonstrativ favorisiert.« Sie weiß nicht, wer richtig liegt. Körting: »Die Friedenswilligen sind gespalten. Aus der deutschen Lehre „Nie wieder Krieg“ ziehen sie verschiedene Konsequenzen.« Und Körting notiert: »Wer dem Aufruf von Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht folgt, macht sich angreifbar.« Anders als die regierungsnahe Solidaritäts-Kundgebung einen Tag vorher, zu der unter anderem das staatlich geförderte Zentrum Liberale Moderne (LibMod) für den 24.2. aufgerufen hat unter dem Motto „Das Ungeheuerliche nicht hinnehmen“, kommt der friedensbewegte „selbst erklärte Aufstand“ (Tagesthemen) von Schwarzer/Wagenknecht in den Leitmedien weniger gut weg. Und er wird als »eine kleine laute Minderheit« abgewertet. Dabei ist die Mehrheit der Deutschen, lt. einer aktuellen Umfrage der Meinung, dass sie durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei werden, führt Körting aus.

Körting verweist auf einen spiegel-Artikel, der Sahra Wagenknecht »als Schirmherrin der ‚Querfront‘« sieht und vermerkt: »Wer mit den Falschen für Frieden auf die Demo geht, hat einen Ruf zu verlieren.« Um so beeindruckender ist für sie, »wie viele trotzdem gekommen sind. Die Veranstalter sprechen von 50.000, die Polizei zählt 13.000. Obwohl die feuchte Kälte in die Knochen zieht, harren die Demonstrierenden aus.«

Kaum jemand will mit der Jounalistin reden. »Auch nicht für ein linkes Medium?«, insistiert sie. »Ach, was heißt schon noch links oder rechts«, winkt ein älterer Mann ab. Eine Frau lässt sich auch von einer negativen Berichterstattung nicht abhalten: »was heißt schon Nazi? Kann jemand, der gegen den Krieg ist, wirklich rechtsextrem sein?«

Und Körting fragt sich: Ist es links, Kampfjets zu fordern? Und rechts, für Verhandlungen zu demonstrieren?« Vom Rednerpult aus hört sie Sahra Wagenknecht in empörtem Tonfall mit ähnlichen Fragen: »Seit wann ist der Ruf nach Frieden rechts? Und Kriegsbesoffenheit ist dann wohl links?«

Katharina Körting: »Zu sehen sind vor allem über 50-jährige, unauffällig bis bunt Gekleidete, dem Anschein nach eher untere als obere Mittelschicht. Sie haben besorgte Gesichter, tragen unschöne Rucksäcke über Thermojacken und frieren im Schneeregen. Wagenknechts Rhetorik entzündet Jubel und Buh-Pfiffe, je nachdem. »Nazis seien nicht willkommen«, machen Schwarzer und Wagenknecht gleich zu Beginn der Kundgebung klar. »Diplomatie statt Waffenlieferungen« steht auf der Binde des Rednerpults.

Schwarzer will eine Friedensbewegung reloaded und erinnert an 1981, als im Bonner Hofgarten 300.000 Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa demonstrierten. Wirtschaftsminister Robert Habeck warf den Initiatoren der Berliner Demo »politische Irreführung der Bevölkerung« vor. Körting: »Ob die regierungsseitig ständig wiederholte Behauptung, die Ukraine verteidige „unsere Werte“ und „die Freiheit“, womöglich ebenso irreführend ist – diese Frage stellt man in den Leitmedien nicht.«

Für Körting ist das Verwirrende: »Im Grunde könnten beide „Lager“ ihre Slogans tauschen, da es sich um verschiedene Aspekte derselben Sache handelt: Der Krieg ist ungeheuerlich. Menschen leiden, Konzerne profitieren. Das Töten muss aufhören. – Aber wie?« Die Entscheidung für eine der Antworten, so Körting, »ist zur Glaubensfrage geworden.«

Und das alles passiert parallel zur unaufhaltsam fortschreitenden Klimakatastrophe. Im Sommer 2015 arbeitete Roger Willemsen – einer der bekanntesten Intellektuellen Deutschlands – an einem neuen Buch. Es sollte heißen »Wer wir waren«. Er starb 2016. Er hat einen Text hinterlassen, der eine Ahnung von seinem Vorhaben vermittelt. Darin beschreibt er, wie er uns Menschen heute sieht: »Ich sehe uns in dieser Zeit stehen, wie die Leute auf Fotos, die vor zehn Jahren in den Zeitschriften erschienen, als die Abgebildeten noch nicht wussten, dass sie ihr Haus verlieren, von der Dürre vertrieben, vom Krieg versehrt […] werden würden. So stehen wir da, resistent gegen das Unheil […] ähnlich, wie […] die Sommerfrischler, die sich eine Sonnenbrille aufsetzten, um den Test der Wasserstoffbombe aus Liegestühlen zu betrachten.«