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Aufhören!

, von Hartmuth Sandtner

»Krieg beenden. Panzer senden.« Als ich das Foto oben voll angriffslustiger Naivität und Unbedarftheit von einer FDP-Demo im der Freitag vom 12.1.23 unter der Überschrift »Panzer gewöhnen die Leute an den Krieg« entdeckte, musste ich unwillkürlich an Bilder denken, die immer mal wieder auftauchen, wenn von dem kriegerischen Enthusiasmus der deutschen Bevölkerung und besonders der Jugend berichtet wird aus dem Jahre 1914, als es um den Krieg gegen Frankreich ging.

Die Welt ist voller Gewaltdelikte, ausgeführte und angedrohte. Schaue ich in die Zeitungen, so kommen sie mir fast täglich auf mehreren Seiten entgegen. Und wenn gerade nicht aktuell etwas Gewalttätiges vorgefallen ist – so scheint es –  wird eine Untat aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt, um mehr oder weniger unbewusst einer Art Sucht der Gesellschaft nach Aggression zu entsprechen.

Der Jenaer Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa  hat dafür in seinem Interview im taz-Magazin futurzwei, Ausgabe 23, unter dem Thema »Die Zukunft ist nicht zu sehen« eine Erklärung: »Wir leben in der Gesellschaft, die [...] des permanenten Wachstums und der Beschleunigung bedarf, um sich selbst zu erhalten. Das zwingt in ein mehrfaches Aggressionsverhältnis.« Rosa erwähnt dafür die Aggression gegen die Natur, Aggressionen in sozialen Verhältnissen und sieht auch die Aggression im Selbstverhältnis, »etwa in der Selbstoptimierung«.

Hartmut Rosa: »Es geht für alle Seiten nur um die Verhinderung des Schlimmsten.« Um dem zu begegnen, »kommt die Logik noch aus der alten Zukunft« mit »Du musst kreativer werden, du musst achtsamer werden, du musst einfach mehr auf deine Bedürfnisse achten«. Und das verschärft aus Sicht von Rosa die Aggressionshaltung zur Welt auf allen Ebenen. Und er sieht sich diesbezüglich bestätigt von Michael Bruter, Professor an der London School of Economics, der zeigt, wie Auseinandersetzungen ihre Form ändern. Rosa: »Es geht nicht mehr darum, dass man mit Menschen anderer politischen Überzeugung diskutiert und verhandelt, sondern daraus werden Idioten und Feinde, die man notfalls umbringt.« Ich denke, aus dieser Haltung entsteht dann wohl auch so ein Satz wie der von Außenministerin Annalena Baerbock am 26.1.23 in der Versammlung des Europarats in Straßburg, dass »wir einen Krieg gegen Russland führen«.

»Vom Krieg bis zur Gender-Debatte«, so Rosa, »gibt es in der politischen Kultur nur mehr Aggressionsverhältnisse.« Und das betrifft auch die Vergangenheit: »Alles, auf das wir mal stolz waren, die Aufklärung oder so, verstehen wir jetzt auch als eine Folge kolonialer Ausbeutung und imperialer Gewalt.« Und diese Sichtweise wird auch gelebt im Verhältnis zu mir selbst. Hartmut Rosa wird da ganz konkret: »Die Gesundheit ist gerade bei jungen Menschen unter aller Sau. Ich sehe das auch als Teil der Autoaggression. Du wirst so sozialisiert, dass du nur die Möglichkeit hast, mit einem Burn-out auszubrechen oder totaler Wutbürger zu werden.« Gerade die begabteren Menschen wollen nicht mehr in die Spitzenpositionen, sie wollen »ein Leben neben dieser verrückt gewordenen Welt.«

In einem Interview – überschrieben »Der Staat ist nicht die Mutti« – vom 28.12.22 mit der taz beobachtet auch Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg »bis in die Mittelschicht hinein Abstiegsängste.« Dazu zählt er auch die Aktionen der »Letzten Generation«. Sie seien »Ausdruck einer massiv verbreiteten Unsicherheit, wie es mit der Welt weitergeht«. Kretschmann sieht die Lösung in einem »staatsbürgerlich imprägnierten Individualismus«, in dem »Menschen Verantwortung für das Ganze übernehmen«, die »Große Transformation unserer Zeit nicht erleiden, sondern aktiv mitgestalten«.

Hartmut Rosa sieht »die Rettung [...] nicht durch etwas, was man tut. Sondern es geht um das Aufhören, mal für einen Moment innehalten in den sozialen Kämpfen. Man muss sich auch mal berühren lassen [...] Wir brauchen eine Zukunftsgeschichte, die nicht quantifizierbare Steigerungen oder Intensivierungen meint [...] Es geht eben nicht um die sieben Schritte zur besseren Welt«.  Es geht darum, so Rosa, »wirklich zu leben mit den Wänden um mich herum und nicht darum, »die Welt [...] zu erobern oder Ressourcen zu verwandeln«. Denn »die Explosion an Möglichkeiten macht das Leben nicht besser.« Rosa: »Jetzt heißt es in der Regierung, wir müssen es schaffen, aus der Krise ‚herauszuwachsen‘. Aber wir wissen: Wenn wir genau das schaffen, werden wir die ökologische Krise verschlimmern. Und das verstärkt die Aggressionshaltung.«

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