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»Lieber John Wayne als das!«

, von Hartmuth Sandtner

In den Medien sind seit Monaten die Ukraine, Putin und der Krieg präsent und wir alle mussten inzwischen begreifen, dass »Menschenrechtsfragen Realpolitik sind und nicht das Gegenteil«. Auf diese kurze Formel bringt die Philosophin und frühere Kriegsreporterin Carolin Emcke am 28.4.22 auf dem Republik-Tag des Internet-Magazins republik.ch im Interview mit dem Literaturwissenschaftler Daniel Graf die deutschlandweite »Verstörung«. Und es gibt nicht wenige, die das Kriegsgeschehen in den Medien gar nicht mehr verfolgen mögen. Dabei sind wir alle betroffen von der Auseinandersetzung um die Ukraine – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. In dem Gespräch geht es auch um Emckes neues Buch »Für den Zweifel«, für das ihr Motto gilt »Ich glaube an das Erzählen trotz allem.« Und Emcke erzählt (bit.ly/3HmjIQL) u.a. von ihrem kürzlichen Besuch in Lwiw/Ukraine. Von Verstörung. Von der Ungenügendheit sämtlicher Texte. Und von einer Skalierung des Leids. Da sich die Medien simplifizierend »nur« den größten Verbrechen und krassesten Beispielen von Gewalt widmeten: »Ich halte es für wirklich fatal, wenn wir als Zuschauerrinnen so programmiert oder imprägniert werden, dass wir nur noch Extremerwartungen haben und jegliche Formen von Demütigung, Ausgrenzung, von Missachtung, Misshandlung, von Vertreibung irgendwie einfach so eingepreist werden.«

Sie kommt dabei ausführlich auf die Verantwortung zu sprechen, die bei uns als Medienkonsumentinnen liegt – ob normale Bürgerinnen, oder als Geflüchteten-Helferinnen. Emcke: »Das wichtigste, glaube ich, ist, was man sich nicht antut.« Dabei wäre aus ihrer Sicht schon viel geholfen, wenn eine bestimmte Art von Gesprächsformaten im Fernsehen oder von Doppelinterviews in Zeitungen oder Pro- und Contra-Visualisierungen der Wirklichkeit« unterblieben. »Wenn sie irgendwo pro und contra lesen«, so Emcke vehement, »lesen Sie es nicht! Falls Sie irgendwo im Fernsehen schon an der Anlage der Einladungspolitik erkennen, dass Kontroversen simuliert werden, schauen Sie sich von mir aus John Wayne an oder irgendwas anderes als das.«

Und sie erinnert an die großen Kontroversen der letzten Jahre – Corona, Querdenker-Demonstrationen – oder jetzt beim Ukrainekrieg: »Diese Unterstellung, es gäbe zu jedem Sachverhalt zwei gleichwertig wahre Positionen. Das ist wirklich ein epistemischer Nihilismus. Das ist ein Graus –  und alle machen es mit.«

Und Emcke verweist auf die Folgen dieses Formats: »In dem Moment, wo ich weiß, ich diskutiere gegen jemanden, verschließe und vereindeutige ich doch schon meine eigene Position und bereinige alle Ambivalenzen, die ich vielleicht hätte. Wohingegen, wenn ich mit jemanden diskutieren würde, der eigentlich zu einer bestimmten Fragestellung im Prinzip mir ähnlich gesonnen wäre, tauchten viel mehr Unterschiede auf. In meiner Schulzeit gab es noch das Format der Erörterung! – Das ist das, was ich möchte. Ich möchte von Autoren, einen Text lesen, in dem sie auch mal Argumente gegen sich selbst äußern.«

»Was wir jetzt hören von wirklich vielen«, moniert Emcke – ob bei Diskussionen über Impfungen oder aktuell über diesen Krieg – »dass irgend so eine Position daherkommt, die heißt: Die Wahrheit ist irgendwie so in der Mitte. – Das halte ich wirklich für fatal. Ich kann nur jedem empfehlen, schauen Sie diese Sendungen nicht, schreiben Sie da hin, sie sollen andere Leute einladen, pro und contra unterwandert unsere Vorstellungen davon, dass es so etwas geben könnte wie eine Wirklichkeit. Sie unterwandert unsere Vorstellung davon, dass es zumindest so etwas geben könnte wie eine Wahrheitsorientierung. Und wenn wir das aufgeben, ist die Demokratie verloren.«

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