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»Es ist zum schreien.«

, von Hartmuth Sandtner

schreibt Mareike Nieberding und führt mit Zwischenüberschriften in dicken schwarzen Lettern, wie »Die körperliche Selbstbestimmung der Frau ist eine Straftat«, oder »Jeder 4. Deutsche Topmanager findet es in Ordnung, seine Frau zu schlagen« oder »Es ist egal, wie emanzipiert eine Frau sich fühlt – faktisch ist sie es nicht«, durch einen sechsseitigen Artikel im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 18.2.2022. Ihr Fazit über die Lage der Frauen in Deutschland kulminiert in dem Satz: »Unser Wirtschaftsystem wurde auf dem Rücken unbezahlt arbeitender Frauen errichtet.«, der in ihrem Beitrag mit vielen Fakten untermauert wird,  an dessen Ende sie alle Frauen und Mädchen nach dem Vorbild der Gewerkschaften zum einwöchigen Generalstreik auffordert.

Und das sind in den wesentlichen Punkten ihre Argumente: »Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hand eines Mannes, der wahrscheinlich ihr Partner ist oder einmal war.« [...] Werden woanders Frauenrechte verletzt, weit weg, dann sind die Deutschen ganz Ohr. [...] Meinem Eindruck nach wohnt dieser eigentlich gerechtfertigten Empörung aber viel zu oft ein Moment der Entlastung inne, so ein gewisses „Ach Gott, ist das alles schlimm«, in den USA, in Afghanistan, irgendwo anders, weit weg, zum Glück sieht das bei uns ganz anders aus. Aber auch in Deutschland werden Frauen verachtet und misshandelt [...] auch in Deutschland gibt es Gegenden wie die Pfalz oder Niederbayern, in denen Frauen erst mal 150 Kilometer weit fahren müssen, um Zugang zu einer sicheren Abtreibung zu bekommen. [...] Paragraf 219a will die Ampel-Koalition ersatzlos streichen.  Paragraf 218 des Strafgesetzbuches (von 1933) aber soll bleiben [...] Eine Frau wird gezwungen, eine Straftat zu begehen, wenn sie sich entscheidet, ein Kind nicht zu bekommen. Sie wird nur nicht dafür bestraft. Und so werden Frauenkörper nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland nach wie vor durch Staat, Gesellschaft und Medizin einer Kontrolle unterzogen, die für Männerkörper undenkbar wäre.«

Und Mareike Nieberding untermauert ihre Argumente mit Fakten aus Studien.Lt.Gender Pay Gap verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 1192 Euro weniger im Monat als Männer. Unter den Spitzenverdienerinnen und -verdienern, die 12.100 Euro brutto und mehr im Monat verdienen, sind nur 23 000 Frauen. Schmale 12,7 Prozent. Lt. Gender Pension Gap bekommen Frauen in Deutschland im Schnitt nur knapp halb so viel Rente wie Männer. Lt. Gender Care Gap verbringen Frauen ein Drittel mehr Zeit als Männer mit Haushalt und Pflege. Gender Health Gap: In der Medizin ist der Mann der Mensch, an ihm wird geforscht, gelehrt, getestet. Eine weitere Statistik zeigt: Weltweit arbeiten Männer durchschnittlich sechs Stunden und 44 Minuten am Tag und werden für fünf Stunden und 21 Minuten bezahlt, also für 80 Prozent ihrer Arbeitszeit. Frauen arbeiten täglich eine Dreiviertelstunde länger. Sie bekommen aber nur für 3 Stunden und drei Minuten von diesen insgesamt siebeneinhalb Stunden Geld, also für 41 Prozent ihrer Arbeitszeit. Auch medizinisch trifft die Corona-Krise die Frauen: Sie leiden häufiger an Long-Covid. Fachleute erwarten einen Anstieg der Sterblichkeit von Neugeborenen und Müttern um bis zu 30 Prozent weltweit. Dazu gehört »Das Leid berufstätiger Mütter«, eine Meldung, die dieser Tage in der Süddeutschen zu lesen war,  wonach die Kita- und Schulschließungen in der ersten Corona-Welle einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zufolge vor allem Mütter belastete. »Für beschäftigte Frauen mit Kindern bis zwölf Jahren stieg die für Job, Pendeln, Kinderbetreuung und Haushalt aufgewendete Zeit im Frühjahr 2020 um 8 Stunden pro Woche, für Väter um nur 3 Stunden.

Mareike Nieberding: »Wer über Gleichstellung redet, der redet ja nicht nur über Rente, Wirtschaft und Corona, sondern auch über alles, was zwischenmenschlich falsch läuft.« Und sie zitiert den Sozialpsychologen Rolf Pohl, wonach eine abwertende Haltung gegenüber Frauen immer noch als »normaler« Teil des Mannseins gesehen wird, und die Soziologin Franziska Schutzbach, für die Mütter »auf dem »schmalen Grat zwischen “Übermutter“ und “Rabenmutter“ als »die Sozialpuffer einer ökonomisierten Leistungsgesellschaft« zu sehen sind.

Mareike Nieberding hält irgendwann inne und schreibt: »Sie merken, ich könnte das hier noch ewig weiterführen. Das Traurige und für mich als Frau: [...] Das Patriarchat ist nicht weit weg oder ganz woanders. Es ist hier, vor der Tür, im Geldbeutel, in der Notaufnahme, auf der Büroetage, es steckt unter jeder Decke in jedem Bett, ganz egal, ob und mit wem man es teilt.« Das für sich selbst sprechende Foto eines Mittagessens 30 amtierender und früherer Topmanager am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz – unter ihnen keine einzige Frau – ging, als hätte es dieses Beweises für das Patriarchat noch gebraucht,  kürzlich durch alle Medien. Und Nieberding fragt: Im Grundgesetz steht: »Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.«, aber wo bleibt die »Aktion, [wo] politischer Wille, Gesetze, Quoten, strikte Vorgaben für Unternehmen und Institutionen, Sanktionen für die Verweigerer«? Und um das durchzusetzen macht sie den 42 Millionen Frauen und Mädchen in Deutschland einen ganz konkreten Vorschlag: Siehe oben!

Hartmuth Sandtner

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