Kolumne

Wie ich kürzlich in der Zeitung las

, von Hartmuth Sandtner

… streicht der Konzern Unilever, von dem wir Marken wie axe oder Rexona im Supermarktangebot finden, das Wort »normal« von seinen Verkaufsverpackungen. Es gibt jetzt also nichts mehr für normale Haut oder für normales Haar. Dafür hat das Unternehmen 10.000 Leute befragt und festgestellt, dass eine deutliche Mehrheit von uns Menschen den Begriff »normal« eher negativ interpretiert.

Und das, obwohl man in diesen Tagen von vielen Menschen hört und liest, dass sie sich normale Zeiten, ein normales Leben zurückwünschen. Manche meinen, dass die Zeiten normal waren, sei lange her. Das war nicht vor Corona, das war ungefähr damals, als es nur einmal in der Woche Fleisch gab. Da gab es noch ein normales Telefon, Musikcassetten und Bandsalat, normales Bier, normales Wetter, normale Ehepaare und Uwe Seeler schoss noch Tore.

Aufgrund dieser träumerischen Sehnsucht mancher Menschen nach Normalität, gibt es im Internet vielleicht auch das wikiHow aus Palo Alto, diesen Ratgeber, der normal eher positiv beleuchtet und verspricht, mit ihm sei es »ein Kinderspiel für dich«, zu lernen, sich den sogenannten Normalen anzupassen, normal auszusehen und sich ganz normal zu verhalten.

Aber, sich normal verhalten – was ist darunter zu verstehen?  Robert Habeck hat sich in seinem Buch »Von hier an anders« – seiner gesellschaftlichen Analyse und seinem Auftrag an die Politik – besonders intensiv auch mit dem Begriff der Normalität auseinandergesetzt und kommt zu dem Schluss: »Normalität kann nicht mehr einfach vorausgesetzt werden.«

Das klingt bedenklich. Aber Richard Sennett meint in seinem Buch »Respekt im Zeitalter der Ungleichheit«: »Erst wenn das normale Leben nicht mehr normal erscheint beginnen wir uns zu engagieren.« – War das die Quelle für »Fridays for Future«?

Andererseits: Die Normalität, das Mittelmaß, etabliert die Norm. Gibt sie normalen Menschen normalerweise vor. Aber jetzt? Welchen Maßstäben, welcher Ordnung, welchen Pflichten muss oder sollte ich folgen? Kann und will ich überkommene Werte leben, überfordern sie mich oder fordern sie mich sogar heraus, dagegen vorzugehen?

Und da ist der Gedanke ganz nah: Will ich überhaupt normal sein? Ich bin doch einzigartig! Zudem – um noch einmal Robert Habeck zu erwähnen: »Was früher normal war, ist heute unterdurchschnittlich.«  Aber – wann war »früher«? Denn schon George Bernard Shaw (1856 – 1950) war der Meinung: »Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.«

Da ist man in seinem Haarstyle doch lieber Boris Johnson. Oder Billie Eilish mit grünem Touch. Oder auch quer – wenigstens im Denken – wenn auch ohne Geist.

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